Mag. Dr. Bernhard Paul (†)
Ursprung
Es gibt keinen anderen Bereich des menschlichen Lebens, der seit Beginn an so eng mit Musik verbunden war wie die Jagd, und es gibt kein musikalisches Symbol, das so eindeutig jagdliches Genre vermittelt wie der Klang von Hörnern. Diese über jahrtausenden währende enge Verbundenheit wird den meisten Menschen heute noch so empfunden, obwohl das Jagdhorn seit etwa 200 Jahren seine ursprüngliche Funktion – als Träger von weithin hörbaren Signalen an die Mitjäger – verloren hat. Im europäischen Kontext gesehen, hat Österreich eine außergewöhnliche Vielfalt und Qualität entwickelt, woraus für uns die Verpflichtung entsteht, dieses hohe Kulturgut zu bewahren und zu pflegen.
Die Gemeinschaftsjagd in der Urzeit brauchte die Musik, um Botschaften zu vermitteln, um die Erlegung des Wildes zu gewährleisten. Dass die Jagdrufe irgendwann später durch ein Signal auf dem Tierhorn ersetzt wurden, ist nur eine logische Konsequenz, und gleichzeitig die eindeutige Manifestierung von Horn und Jagd. Es gab im späten Mittelalter wohl einige Versuche, die rein rhythmischen Jagdsignale weiter zu entwickeln, dennoch blieb bis in die Neuzeit das Tierhorn das Signalinstrument der Jagd.
Vom Tierhorn zum Jagdhorn
Der entscheidende Impuls erfolgte etwa Mitte des 17. Jahrhunderts in Frankreich. Aus dem Tierhorn entwickelte sich die trompe de chasse, mit einer Länge von ca. 4,50 m. Damit war der lang ersehnte Schritt zur Musik vollzogen. An Stelle der musikalisch schlichten Signale trat die Fanfare, im typischen 6/8 Takt. Innerhalb weniger Jahre war die neu entstandene Jagdmusik in ganz Europa bekannt und verbreitet.
Frankreich
Mit dem „revolutionären“ Entwicklungsschritt – der trompe de chasse und der Fanfare – war gleichzeitig ein „Endpunkt“ erreicht. Die Instrumente wurden in der Nachfolgezeit nur mehr geringfügig modifiziert, an der für unsere Ohren ungewohnte Art des Blasens (soneur du cor) wurde bis heute festgehalten, und auch die weit später entstandenen Kompositionen orientieren sich an den Werken der ersten Generationen. Die französische Revolution vermochte die Tradition (auch Jagdmusik galt als ein Teil des adeligen Lebens) nur kurzzeitig zu unterbrechen. Die französische Jagdmusik hat in ihrer Ursprünglichkeit nicht verloren, und wird so weitergegeben, wie sie Ende des 17. Jahrhunderts usuell war. Gerade die unverfälschte Weitergabe macht sie so besonders kostbar und wertvoll.
England
Es mag für Viele überraschend klingen, aber England hat sich keine eigenständige Form der Jagdmusik entwickelt. In den Bibliotheken befinden sich Unikate französischer Jagdmusik (!!!), aber bis heute ist kein Musikstück britischen Ursprungs entdeckt worden.
Deutschland
Anfang des 18. Jahrhunderts wurde den deutschen Ländern und Kleinstaaten – wie in anderen Teilen Europas auch – die französische Art der Jagdmusik übernommen. Es gab auch einzelne Ansätze zu einer Entwicklung von eigenständigen Jagdmusik, doch blieben diese entweder lokal begrenzt oder wurden nicht konsequent weitergeführt. In den wenigen erhaltenen Kompositionen sind die Anklänge an französischen Vorbilder unverkennbar. Die Änderung in der Jagdausübung anfangs des 19. Jahrhunderts, die ja allgemein die Pflege von Jagdmusik beeinträchtigte, löschte weitgehend die vorhandenen musikalischen Impulse. Um 1878 erfolgte von Pleß aus der Versuch einer Reaktivierung. In Unkenntnis (?) der historischen Traditionen wurde das Signalhorn der Armee – ein Trompeten-Instrument – zum Jagdhorn erklärt, Militärsignale zu Jagdsignalen umfunktioniert, und neue „tot-Signale“ für das Fürst-Pleß-Horn hinzu komponiert. Wenn heute in vielen Ländern Europas – Frankreich ist eine rühmliche Ausnahme – „Deutsche Jagdmusik“ gepflegt wird, wird „übersehen“, dass diese erst mit und nach dem „Dritten Reich“ Fuß gefaßt hat.
Österreich
Wie in anderen Ländern auch, wurde die französische Jagdmusik in Österreich vorerst unverändert übernommen. Doch bald begann die volksmusikalische Kraft diese massiv zu verändern. Entscheidend war, dass bereits seit dem 15. Jahrhundert Alphörner als Signalinstrumente bei der Hochgebirgsjagd eingesetzt waren, und daher schon regionale Signale existierten.
Aus der Symbiose zwischen Alphorn und der trompe de chasse entwickelte sich das österreichische Jagdhorn, es entstanden neue eigenständige Signale mit programmatischen Charakter, und letztlich eine Vielfalt an jägerischer Volksmusik zu den unterschiedlichsten Anlässen. Die hunderten (!!!) erhaltenen Kompositionen sind ein unwiderlegbarer Beweis für Lebendigkeit österreichischer Jagdmusiktradition. Jedoch scheint sich dieses Phänomen ausschließlich auf den alpinen Raum beschränkt zu haben, denn z. B. in Böhmen blieb das französische Vorbild bis weit ins 19. Jahrhundert haften.
Der Wiener Kaiserhof dürfte sowohl eine verbindende wie ausgleichende Funktion (zwischen „Hochkultur“ und Volksmusik) besessen zu haben, ohne die Entwicklung von lokalen Initiativen zu beeinträchtigen. Einerseits war Wenzel Rossi als „Jägerhornist“ hauptamtlich der Hofmusikkapelle (!) zugeteilt, wo ihm – infolge weniger Dienste – viel Zeit zur Verfügung stand, eine kaiserliche Hofjagdmusik aufzubauen, und andererseits bewirkte dieses Beispiel, dass im Lande viele eigenständige Bläsergruppen entstanden, die dem Vorbild am Wiener Kaiserhof nicht nachstehen wollten. Und gerade dieser latente Wettstreit zwischen „Wien“ und der „Provinz“ führte zu der einmaligen Vielfalt österreichischer Jagdmusik. Bilder (Graphiken), Rechnungen über Ankauf von Jagdhörnern, Notenmaterial, und andere Dokumente, belegen unstreitig jagdmusikalisches Leben, die Freude am Jagdhornklang.
Das mag auch einer der Gründe gewesen sein, dass im beginnenden 19. Jahrhundert nicht wie anderswo die Tradition der Jagdmusik stillschweigend unterging. Musiker und Volksmusikanten übernahmen von den „Berufsjägern“ aus Liebe zum Jagdhornklang die Pflege der Jagdmusik. Unabhängig davon blieb der Wiener Kaiserhof eine der wenigen Stätten von musikalischen Jagdtraditionen bestehen. Berufsmusiker wie Joseph Schantl (1842-1902), Anton Wunderer (1850-1906), Franz Joseph Liftl (1864-1932) und Karl Stiegler (1876-1932) schufen nicht erst die „Österreichische Jagdmusik“, sondern führten diese zu neuer Blüte. Karl Stiegler, Karl Hugo Pusch (1879-1944) und – nach 1945 – Ernst Paul (1907-1979) verhinderten, dass die einstmals k.k. Hofjagdmusik nicht mit der Monarchie unterging und bis heute als „Lainzer Jagdmusik“ weitergeführt wird.
Ernst Paul gebührt auch das Verdienst, die Vielfalt und die hohe Qualität Österreichischer Jagdmusik erforscht und dokumentiert zu haben. Und mit jedem einzelnen Dokument, das in den letzten Jahrzehnten neu entdeckt werden konnte, wird die außergewöhnliche Stellung und die schöpferische Kraft Österreichs – auch auf dem Gebiete der Jagdmusik – weiter manifestiert.